Zimmern an der Demokratie

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LORA München Redaktionsraum
LORA München Redaktionsraum

Fabian Ekstedt, 34, ist einer der drei Geschäftsführer:innen des Freien Radios LORA in München, der 2023 den dreissigsten Jahrestag seiner Erstsendung feiert. Freie Radios sind ein bedeutender, wenn auch weniger bekannter Teil der Medienlandschaft. Ein Gespräch über lebendige Demokratiepraxis in Zeiten großer Veränderungen.

Seit wann bist Du in der Geschäftsführung bei LORA München und wie bist Du dazu gekommen?  
          
Seit März 2019 bin ich in der Geschäftsführung mit dabei. Ich bin Politikwissenschaftler. Vor dem Studium hatte ich eine Ausbildung zum Zimmerer gemacht. Während des Studiums arbeitete ich im täglichen LORA-Magazin mit. Daher war ich schon über sieben Jahre mit LORA verbunden, als ich mitbekam, dass die Geschäftsführung niemand finden konnte, der die Verantwortung übernehmen möchte. Ich sagte zu, setzte mich aber dafür ein, dass die Arbeit auch bezahlt wird, weil ich das als Berufsanfänger nicht ehrenamtlich machen konnte.

Wie kamst Du vom Zimmerer zur Politikwissenschaft?

In der Ausbildung musste ich täglich lange unterwegs sein und hörte dabei viel Radio, am liebsten das morgendliche Nachrichtenmagazin auf Bayern2. Deswegen war ich gut informiert und politisch interessiert. In dieser Zeit machte ich ehrenamtlich sowohl Antifa-Arbeit als auch Jugendarbeit. Ich hatte zudem ein Jugendzentrum gegründet und die Selbstverwaltung organisiert. Durch diese Erfahrungen entschloss ich mich dann zum Abendstudium an der Hochschule für Politik.

Fabian Ekstedt auf dem Konferenzsofa neben dem Serverschrank.
Fabian Ekstedt auf dem Konferenzsofa neben dem Serverschrank.

Was macht Freie Radios oder Community Radio, wie es auch bezeichnet wird, so anders als öffentlich-rechtlichen oder privaten Rundfunk?     

Wir machen Radio von unten, sind Bottom-Up-Radio, im Gegensatz zu den anderen beiden Säulen, die überwiegend Top-Down-Radios sind, wo die Redaktionen einen Auftrag bekommen. Im Öffentlich-Rechtlichen werden die Redaktionen auf eine Vorgabe der Intendanz gebildet. Bei den Privaten orientieren sich die Sparten danach, wo sich gut Werbung verkauft. Bei LORA kommen die Leute auf uns zu und sagen: Ich würde gerne Radio machen. Wir sind damit die dritte Rundfunksäule mit dem Auftrag aus der Bevölkerung. Das hat der Europäische Rat auch anerkannt.

„Von alleine würde sich der Sender nicht der nächsten Generation empfehlen.“

Wie ist LORA München entstanden?

Mitte der 1980er Jahre fanden viele Menschen, die in der lokalen Musikszene und dem politischen Bereich aktiv waren, dass die damaligen Medien nur wenig oder einseitig über sie berichteten. Es war ihnen wichtig, andere Nachrichten, die in den Bürgerbewegungen entstanden, an die Öffentlichkeit zu bringen, und dabei vor allem lokal tätig zu sein. Insofern ist ein Freies Radio immer ein Medium der Subkultur. Ein gutes Beispiel ist „Uferlos“, unser schwul-lesbisches, jetzt queeres Magazin. Diese Community hatte ja davor überhaupt keine Möglichkeit, irgendwo mitzusprechen.

Wie wirkt sich der demografische Wandel für LORA München aus?

Wir feiern dieses Jahr mindestens bei drei Leuten, die tragende Säulen des Radios sind, den Achtzigsten. Viele der Älteren können sich immer noch gut einbringen und kommen noch mit den technischen Geräten klar. Trotzdem ist es natürlich ein Problem. Es war ja ein wesentlicher Grund, warum ich damals in die Geschäftsführung gekommen bin. Von alleine würde sich der Sender nicht der nächsten Generation empfehlen.

Ist Freies Radio attraktiv für junge Leute?

Die Radio-Arbeit ist nicht einfach in einem Sender, den viele nicht kennen. Da muss man erst mal viel erklären: Was ist Freies Radio? Wie kommt man da rein? Was kann man da machen? Zudem ist es auch so, dass wir in einem Bereich senden, der grundsätzlich nicht die stärkste Reichweite hat. Wir konkurrieren mit Bayern2, Bayern5 und Deutschlandfunk. Die Idee, dass man eine Stunde lang eine Sendung zu einem Thema macht, das zwar wichtig und gut recherchiert ist, bei dem man aber mitdenken muss, vermittelt sich nicht so gut. Noch dazu in einer Zeit, in der viele Leute ohnehin schon das Gefühl haben, wenn sie die Nachrichten nicht mehr hören, geht es ihnen besser.

Ansicht des Sendestudios von LORA München
Ein ideales Studio sähe anders aus…

Wie entwickelt sich LORA München bezüglich digitaler Medien und crossmedialer Gestaltung der Inhalte?

Wir arbeiten daran. Vergangenes Jahr haben wir unsere Website modernisiert und versuchen, unsere Beiträge crossmedial auszuarbeiten und sie in Social Media zu pushen. Wir leiden aber unter zwei großen Problemen. Zum einen ist die technische Ausstattung nur wenig automatisiert. Und zum anderen ist auch nicht jedem bewusst, wie sie funktioniert. Wir können nicht allen Leuten die Rechte für unsere Accounts geben. Dafür müssten wir sie erst ausbilden, wofür uns Ressourcen fehlen. Uns fehlt ein durchgängiges Community-Management. Immerhin haben wir eine Instagram-Gruppe. Aber eigentlich müssten wir hier eine Online-Redaktion haben.

Welche Schwierigkeiten gibt es, diese Online-Redaktion zu bilden?

Die Leute kommen in der Regel zu uns, um Radio zu machen. Ich habe vorgeschlagen, dass wir aktiv nach Leuten suchen, die nur Social Media machen wollen. Damit wir wie ein klassisches Medienunternehmen mit allen möglichen Sparten aufgestellt sind. Das sorgt wiederum für Verwunderung, weil Instagram, Facebook und die Konzerne dahinter von manchen als böse gesehen werden. Diese Unternehmen sind grundsätzlich in der Linken nicht unumstritten. Das führt zu Diskussionen und dazu, dass es mit der Zusammenarbeit unter uns nicht so gut klappt. Die Bereitschaft, die Mehrarbeit einzubringen, die Social Media nun mal verursacht, ist auch nicht durchgehend da.

„Das Finanzierungsproblem zieht sich durch.“

In anderen Bundesländern bekommen Freie Radios mehr öffentliche Zuwendungen als in Bayern. Was müsste sich an der wirtschaftlichen Situation des Senders verändern, damit die finanzielle Basis gesichert wäre?

Schauen wir mal auf die anderen Bundesländer. Ein Sender wie zum Beispiel Radio Corax in Halle wird sowohl durch Rundfunkgebühren, als auch vom Bundesland Sachsen-Anhalt großzügig finanziell unterstützt. Dadurch ist Geld da, um die Sicherheit zu haben, dass die Miete bezahlt ist. Sie wissen, dass sie ihre Geräte, wenn sie ausfallen, reparieren können. Wir bei LORA könnten unter diesen Bedingungen ein richtiges Studio einrichten, das nicht immer wieder geflickschustert werden muss. Wir könnten die Mitgliederverwaltung verbessern und Online-Gestaltung oder Website professionell auslagern. Zudem gäbe es die Möglichkeit, dass man Leute fest anstellt.

Es gibt also neben den Ehrenamtlichen auch bezahlte Kräfte?

Viele Freie Radios arbeiten mit mehreren Teilzeitstellen, damit nicht einzelne Leute zu viel Verantwortung übernehmen und man nicht betriebsblind wird. Bei LORA bin ich der einzige, der angestellt ist, natürlich in Teilzeit.

Schieberegler eines Studio-Mischpultes.
…aber Hauptsache auf Sendung!

Wie sieht das Budget von LORA aus?

Für das Überleben des Senders müssen wir das ganze Jahr über kämpfen. Unsere jährlichen Kosten betragen weniger als 130.000 Euro. Wir bekommen, das ist das Besondere hierzulande, eine Förderung für unsere Ausstrahlungskosten. Das heißt, wir haben einen festen Vertrag zur Bayerischen Medien Technik und zu Media Broadcast. Diesen Vertrag bekommen wir vergünstigt. Das ist die Förderung. Pro Jahr sind das zwischen €20.000 und €40.000. Das ist die Grundbedingung dafür, dass wir unser Programm ausstrahlen können. Bayern ist das einzige Bundesland, in dem Freie Radios keine Finanzierung aus dem Topf der Rundfunkgebühren bekommen.

Gibt es sonst noch Zuwendungen für LORA?

Wir erhalten auch Programmförderung, aber damit ist ein hoher bürokratischer Aufwand  verbunden. Zudem machen wir mit politischen Stiftungen zeitlich begrenzte Projekte. Die sind genauso aufwendig. Diese Projekte decken zwar nur die anfallenden Kosten. Das Gute daran ist aber, dass viele der Projektpartner, die bei uns senden, das Geld, das sie dafür von der Stiftung bekommen, LORA als Spende zufließen lassen. Dazu kommen noch weitere Spenden und Mitgliedsbeiträge im LORA Förderverein.

„Ich finde Veränderung spannend!“

Du engagierst Dich sowohl im Bundesverband Freier Radios als auch im europäischen Dachverband Community Media Forum Europe. Wie siehst Du die Zukunft der Community Radios in der europäischen Medienlandschaft?

Die halte ich für sehr spannend! Es gibt ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Was wir jetzt  über Videokonferenzen oder Übersetzungstools hinbekommen ist, dass wir besser zusammenarbeiten und uns miteinander vernetzen können. Wir finden heraus, was die anderen machen und solidarisieren uns stärker. Wir leiden natürlich darunter, dass wir alle im Grunde zu wenig Zeit und Nerven haben. Es soll auch hier alles von Ehrenamtlichen gemeinsam gestaltet werden, so nebenher. Das Finanzierungsproblem zieht sich durch.

Was bekommst Du von anderen Freien Radios in Europa mit?

Der Einblick, den wir bekommen, ist großartig. Besonders in die Länder, in denen die Medienfreiheit massiv eingeschränkt wird. Es gibt überall Leute, die sich in diese medialen Diskurse einbringen wollen, also öffentlich Verantwortung übernehmen für ihre Gesellschaften. Und die wandern häufig ins Internet ab. In Ungarn etwa können die Kollegen professionell als Internetradio arbeiten, weil sie davor schon ein großer Sender waren. In Serbien gibt es einen Kollegen, der hat einfach eine Podcast-Plattform aufgebaut. Die bedient den ganzen Balkanraum, der ja ähnliche Sprachen hat, etwa Serbisch, Kroatisch oder Albanisch. Da wird Völkerverständigung zwischen Ländern praktiziert, deren Regierungen propagandistisch aufeinander losgehen.

Fabian Ekstedt neben Weltkarte der Pressefreiheit 2022
Freie Radios tragen weltweit zur Freiheit der Presse bei.

Was für eine Erkenntnis hat Dich in diesem Zusammenhang am meisten beeindruckt?

Für mich war die eindrücklichste Aussage von einem europäischen Kollegen, dass es bei der Einschränkung der Medienfreiheit nicht nur um Medien gehe, sondern um die ganze gesellschaftliche Entwicklung. Der starke Staat behaupte, für alles zu sorgen, folglich sei soziales Engagement unerwünscht. Das zeigt mir, dass man in solchen Ländern ganz gezielt daran arbeitet, das Entstehen von Communities zu verhindern. Es ist dort nicht gewollt, dass die Leute sich miteinander vernetzen und gemeinsam daran arbeiten herauszufinden, wo die Probleme liegen.

Was ist Deine Schlussfolgerung aus diesen Erfahrungen?

Freie Radios sind eine wichtige demokratische Praxis. Was ich an LORA sehr schätze ist, dass es einer der wenigen Diskursorte ist, wo man sich noch wirklich begegnet. Es gibt zwar den Stammtisch, aber wer kein Geld hat, kann nicht teilnehmen. Das Internet andererseits kann ganz wunderbar sein. Das Problem ist nur, dass wir dort oft auf einer Ebene diskutieren, die mehr auf Effekthascherei aus ist als auf gegenseitiges Verständnis.

Was bedeutet Veränderung für Dich ganz persönlich?

Ich finde Veränderung spannend. Es ist etwas, das man selbst anstoßen kann. Es macht vielen Leuten Angst, aber es ist ja das Schöne, wenn man von sich sagen kann: Ich treibe die Veränderung mit vorwärts, ich arbeite mit anderen Leuten zusammen. Wenn man die Zukunft nur aus der Perspektive „Was wird aus mir?“ sieht, statt sich zu fragen: „Was für eine Rolle übernehme ich in der Zukunft?“, dann ist das natürlich was anderes. Wenn wir aber gemeinsam Veränderung planen, durchdenken und gestalten, dann macht sie weniger Angst und mehr Lust.

Fotos: Petra Kellner