Koreanisches Drama, der Betrachter vor dem Monitor, Fotografie von Vera Schwamborn

Mein täglich Drama

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Auch in Deutschland werden TV-Serien aus Südkorea und Japan immer beliebter. Die im asiatischen Raum Drama genannten Serien lassen sich mit der lateinamerikanischen Telenovela vergleichen. Eine in sich abgeschlossene Story zieht sich – wie ein Fortsetzungsroman – über zahlreiche Folgen hinweg.

Seit fast zehn Jahren sieht sich der Historiker Martin Peteranderl solche Dramen an, lange bevor diese auf Netflix zu finden waren. Ein Gespräch über asiatische TV-Serien als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklung.

Mit 111 Millionen Zuschauern in 27 Tagen ist die koreanische Serie Squid Game letztes Jahr zur erfolgreichsten Netflix-Produktion überhaupt geworden. Wie erklären Sie sich die gestiegene Popularität asiatischer Dramen?

Manche dieser Dramen sind tatsächlich kleine Juwelen, was Regie, Spannungsaufbau und die ganze künstlerische Umsetzung anbelangt. Netflix bietet bereits existierenden asiatischen Dramen seit einigen Jahren die Möglichkeit, international wahrgenommen zu werden. Der Streamingdienst produziert mittlerweile solche Serien auch selbst, wie im Fall von Squid Game. Das hat aber nichts damit zu tun, wie Dramen in Korea gemacht werden und was sie dort bedeuten. Viele Dramen haben ganze Generationen geprägt, zum Beispiel Coffee Prince von 2007. Oder das berühmte Sandglass aus den neunziger Jahren. Solche Dramen waren nationale Ereignisse – in Korea und auch im ganzen asiatischen Raum.

Welche war die allererste Serie, die Sie gesehen haben?

Das war 2013 The Master’s Sun, ein koreanisches Drama, das mir eine Bekannte empfohlen hatte. Das habe ich praktisch im Flux gesehen, das heißt, ich habe jede Woche zwei Folgen angeschaut genau zu den Zeiten, in denen sie auf der Plattform erschienen sind. Das waren damals amateurhafte Websites, die diese Serien im Original mit Subs, also englischen Untertiteln, angeboten haben. Die Subs haben meist irgendwelche Studenten aus Liebe zu den Dramen gemacht und dann ins Netz gestellt. Zwei dieser eher inoffiziellen Plattformen, Dramacool und KissAsian, nutze ich noch heute. Ich habe dort neben den aktuellen Serien auch sehr viele früher entstandene Dramen sehen können.

Erzählen Sie uns von Ihrem ersten Drama. Was hat Sie daran so fasziniert?

In The Master’s Sun geht es um den CEO eines großen Konzerns, der sich in eine junge Frau verliebt, die Geister sehen kann. Was mich damals besonders beeindruckt hat, war die Szene, wo dieser Chef in eine seiner Firmen kommt, so eine Shopping Mall. Alle Angestellten bilden ein Spalier und verbeugen sich! Auch die Macht der Schwiegermutter über die Schwiegertochter hat mich verwundert. Es wirkte wie Deutschland in den Fünfzigern. Dass Südkorea trotz der enormen wirtschaftlichen Entwicklung seit den frühen neunziger Jahren auch im 21. Jahrhundert noch eine zutiefst konservative Gesellschaftsstruktur besitzt, fand ich bemerkenswert. Natürlich hat sich das über die Jahre langsam verändert, nicht zuletzt auch durch die Drama-Kultur.

Gibt es Besonderheiten bei der Produktion dieser Dramen?

Ja, das läuft in vielen Fällen ganz anders als im Westen. Ein koreanisches Drama besteht meist aus 16 einstündigen Folgen, die sich vor allem über Product Placement finanzieren. Diese Folgen werden wöchentlich produziert. Wenn die Einschaltquoten gut sind, ist die weitere Finanzierung gesichert. Es sind auch schon Dramen mitten im Dreh abgebrochen worden. Product Placement ist für das asiatische Publikum kein Problem, ganz im Gegenteil. Dort will man wissen, was gerade im Trend liegt – sei es ein Massage-Sessel, ein Lippenstift oder ein Mobiltelefon.

Was beschäftigt die asiatischen Dramen inhaltlich? Worum geht es?

Es geht ganz einfach um alles. Es gibt Krimis, es gibt Liebesgeschichten, es gibt High-School-Storys und Historien-Dramen. In Serien aus Korea tauchen oft Geister oder andere übernatürliche Wesen auf, die wie selbstverständlich in den Alltag der Protagonisten integriert sind. Manchmal werden auch traumatische Epochen aufgearbeitet wie zum Beispiel das der Convenient Girls in den dreißiger Jahren (The Bridal Mask). Oder es werden historische Errungenschaften thematisiert, wie die Einführung des koreanischen Schriftsystems (The Great King Sejong). Solche aufwändigeren Produktionen sind auch mit staatlicher Unterstützung gemacht und haben fast schon nationalen Bildungscharakter.

Sie sprachen von den konservativen Familienstrukturen. Gibt es Dramen, die sich vor allem damit beschäftigen?

Natürlich! Da denke ich als erstes an die Wochenend-Dramen, die einen festen Sendeplatz haben und sehr, sehr beliebt sind, mit Einschaltquoten zwischen 20 und 30 Prozent und mehr als 50 Folgen. Die laufen in Korea auch an öffentlichen Plätzen, in Krankenhäusern oder Saunen. Diese Serien haben meist einen einfachen Plot und thematisieren unterschiedlichste Familienprobleme, natürlich auch das der Schwiegermutter.

Nennen Sie uns doch noch ein anderes Beispiel!

Ein weiteres beliebtes Format sind die Real Variety Shows wie I live alone. In dieser Serie werden koreanische Celebrity-Singles einen Tag lang gefilmt. Die Filmaufnahmen werden dann zusammengeschnitten und kurze Zeit später in einem Studio gezeigt, wo einige Zuschauer zusammen mit dem gefilmten Star die Handlungen kommentieren. Unter dem Motto: Wie geht das eigentlich, allein zu leben? In Korea war es früher ganz unüblich, von zu Hause auszuziehen, ohne die Absicht zu haben, eine eigene Familie zu gründen.

Kann man also die Dramen als gesellschaftliches Rollenmodell verstehen?

Tatsächlich. Die Dramen reflektieren aktuelle oder historische Probleme und tragen, teilweise mit neuen Lösungsansätzen, zum gesamtgesellschaftlichen Wandel bei. Das gilt zum Beispiel auch für die Schwiegermütter. Die wollen in Korea mittlerweile moderner und verständnisvoller sein und nicht mehr so dominant.

Jetzt haben wir viel über Korea gesprochen. Wie sieht es im Vergleich dazu mit Dramen aus China aus, einem Land, das gesellschaftlich und politisch anders aufgestellt ist?

China hat eine lange Tradition des Geschichtenerzählens, wie zum Beispiel die Strange Tales from a Chinese Studio aus dem 18. Jahrhundert. Aus diesem Zyklus kam A Chinese Ghost Story als Film auch in die europäischen Kinos. Das gleichnamige Drama von 2003 habe ich natürlich gesehen.

Wie werden die Geschichten in den chinesischen Serien erzählt?

Die chinesischen Dramen sind anders produziert. Sie sind teilweise vom Staat finanziert und immer vom Staat kontrolliert. Man merkt, dass die Zensurbehörde eingreift. Zum Beispiel war es eine Zeit lang verboten, Dramen über Zeitreisen zu publizieren.

Gibt es konkrete Beispiele für die staatliche Einflussnahme bei der Produktion in China?

Es gibt eine ganze Reihe: wie toll die chinesische Armee ist, wie toll die chinesische Polizei ist. Es ist verblüffend, wenn man zum Beispiel chinesische Detektivdramen mit koreanischen vergleicht. In den koreanischen Serien kommt die Polizei ziemlich tölpelhaft daher. Die chinesischen Kriminalbeamten arbeiten dagegen immer akkurat und lösen jedes Problem.

Wie viele komplette Serien haben Sie denn in knapp zehn Jahren geschaut?

Es sind jetzt genau 846. Ich habe eine Liste gemacht, allein schon deshalb, um nicht aus Versehen dasselbe Drama zweimal anzusehen. Seit 2013 schaue ich ununterbrochen fast jeden Tag. In tausenden von Stunden habe ich die Welt aus einer völlig neuen Perspektive kennengelernt. Mich reizt es, zu sehen, wie bestimmte Informationen, bestimmte Trends, bestimmte Schicksale in einer anderen Kultur vermittelt werden. Außerdem war ich schon immer ein Fan unendlicher Geschichten wie in 1001 Nacht.

Verraten Sie uns Ihre Drama-Lieblinge?

Kimi wa petto ist eine japanische Serie, die ich sehr gerne mag. Auch Oh my general aus China gefällt mir ganz besonders. Und was die koreanischen Dramen angeht, da gibt es viele. Nicht zuletzt mein allererstes: The Master’s Sun, das mittlerweile auch auf Netflix gestreamt wird.


Wer mehr über die Welt des Drama, über Schauspieler, Rankings und Kurzinhalte erfahren will: www.dramabeans.com oder www.asianwiki.com. Und hier der Trailer zu Sandglass, dem legendären Drama von 1995, das man über KissAsian streamen kann.

Fotos: Vera Schwamborn