Zwei Ausstellungen im Ägyptischen Museum München: „Menschen, Bilder, Orte“ und „Bis gleich, Isaak!“. Eine Ausstellungskritik.
Am 11. Dezember 321 erließ der römische Kaiser Konstantin ein Edikt, das vermögenden Juden die Berufung in den Stadtrat ermöglichte. Dies ist der früheste datierbare Nachweis für die Existenz jüdischer Gemeinden in Mitteleuropa und bot 2021 den Anlass für ein deutsch-jüdisches Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ mit mehr als 2.500 Veranstaltungen bundesweit.
Besondere Beachtung fand dabei die von der leitenden Kuratorin Dr. Laura Cohen für das Jüdische Museum Köln (MiQua) konzipierte Wanderausstellung „Menschen, Bilder, Orte – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, die nun im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München zu sehen ist. Diese informative und im besten Sinne moderne Ausstellung wird durch die Foto-Ausstellung „Bis gleich, Isaak!“ des Dießener Fotografen Noah Cohen kongenial ergänzt oder besser gesagt umrahmt.
„Bis gleich, Isaak!“
Noch immer raubt einem die Architektur des Ägyptischen Museums den Atem. Über zwei Treppen geht es nach unten ins Dunkle, bis man bei den ägyptischen Göttern und Pharaonen angekommen ist. Ein kurzer Besuch bei Ramses II, begleitet vom Bedauern, „Joseph und seine Brüder“ von Thomas Mann noch immer nicht gelesen zu haben.
Derart eingestimmt wird man vom Leuchten der großformatigen Schwarz-Weiß-Portraits Noah Cohens rasch zurückgeholt in die Gegenwart. Sie zeigen Schüler, Redakteure, Ärzte, Rechtsanwälte, Karnevalspräsidenten – „ganz normale“ Deutsche mit jüdischen Wurzeln an ihren Lieblingsplätzen. Sei es hoch zu Ross, im Garten, am Königsplatz oder in der Kneipe. Neben den Bildern hängen ihre Statements. Jedes für sich ein Kabinettstück: Ehrlich, verletzlich, frei von Stereotypen oder Klischees.
Die Portraitierten sehen dem Betrachter direkt in die Augen, in sich ruhend und voller Selbstbewusstsein. Die meisten fühlen sich in Deutschland zu Hause, stellen aber eine Zunahme von Antisemitismus und Rassismus fest. Sich öffentlich als Jude zu zeigen, werde in Deutschland immer gefährlicher. Während die Älteren versuchen, die Spannungen auszuhalten, engagieren sich die Jüngeren für Projekte wie „Tikkun Olam“. Was nichts weniger als die Verbesserung der Welt bedeutet.
„Menschen, Bilder, Orte – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“
Die Verbesserung der Welt setzt Wissen voraus. Wissen, wie es gewesen ist. Und zugleich eine Ahnung, wie es einmal sein könnte. Beides erfährt man in der Hauptausstellung. In vier begehbaren Kuben (Recht & Unrecht, Leben & Miteinander, Religion & Geistesgeschichte, Kunst & Kultur) werden 1700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland thematisch dargestellt. Und das in einer Breite und Tiefe, wie es nur mit einem multimedialen wie wohldurchdachten Konzept möglich ist. Eine Geschichte voller Brüche, Zäsuren und Katastrophen. Aber auch eine Geschichte friedlichen Miteinanders, produktiven Austauschs und gegenseitiger Wertschätzung.
Auch hier stehen selbstbewusste, kämpferische und eher unbekannte Menschen im Mittelpunkt. Etwa Gabriel Riesser (1806-1863), der sich seit 1830 für die rechtliche Gleichstellung der Juden einsetzte und nach jahrzehntelangem Kampf 1860 endlich zum ersten Richter jüdischen Glaubens in Deutschland ernannt wurde. Ein Jahrhundert später hatte Regina Jonas (1902-1944) gegen ähnliche Vorurteile zu kämpfen. Doch auch sie setzte sich über alle, auch innerjüdische, Widerstände hinweg und wurde 1935 in Berlin zur weltweit ersten Rabbinerin ordiniert.
Noch im Konzentrationslager Theresienstadt wirkte sie als Seelsorgerin, hielt Vorträge und arbeitete eng mit dem Rabbiner Leo Baeck und dem Wiener Psychiater Viktor Frankl zusammen. Am 12. Dezember 1944 wurde sie in Auschwitz ermordet. Heute gibt es in Deutschland fünf Rabbinerinnen, eine davon ist Natalia Verzhbovska, die in einem der zahlreichen Videos von ihren aktuellen Erfahrungen berichtet.
Modernisierungsschub Museum – Angekommen im 21. Jahrhundert
Ein großer Vorzug dieser Ausstellung ist ihre Modernität: Vitrinen, lange Fließtexte oder Objekte sucht man hier vergebens. Stattdessen QR-Codes, Videos und 16 Medienstationen, die Dokumente, Bilder, Interviews und Rätsel für Kinder zeigen. So und nicht anders müssen historische Ausstellungen im 21. Jahrhundert gemacht werden!
Der Museumsbesuch gerät zum Modernisierungsschub: Träumte man eingangs noch vom Lesesessel und Thomas Mann, googelt man jetzt nach dem nächsten Konzert der israelischen Heavy Metal Band „Orphaned Land“, prüft, ob die ehemalige Synagoge seines Heimatortes bei „Jewish Places“ gelistet ist und spricht mit befreundeten Lehrern über das Projekt „Meet a Jew“.
Über diese und zahlreiche weitere Projekte informiert die Ausstellung. Jeder kann sich engagieren: Alter, Geschlecht, Religion, Herkunft spielen keine Rolle.
Antisemiten auf den Nordpol
Und dennoch sieht die Welt nur einen Tag nach dem Ausstellungsbesuch schon wieder ganz anders aus. Am 11. April 2022 gibt das Bayerische Innenministerium bekannt, dass die Zahl der antisemitischen Straftaten 2021 in Bayern im Vergleich zum Vorjahr um 44 Prozent gestiegen ist: von 353 auf 510! Man ist fassungslos und will resignieren. Einer, der vermutlich nicht resignieren, sondern kämpfen wird, ist der von Noah Cohen portraitierte Journalist Ronen Steinke. Aus aktuellem Anlass sei deshalb sein Statement in voller Länge zitiert:
„Ich bin sehr dafür, dass Menschen wegen des grassierenden Antisemitismus aus Deutschland auswandern. Allerdings sollten bitte nicht die Juden auswandern, sondern die Antisemiten. Auf dem Nordpol ist noch Platz! Man sollte diesen Leuten niemals den Triumph gönnen, dass sie die Macht dazu haben, Menschen zu vertreiben. Und man sollte ihnen auch tunlichst keine Räume überlassen. Ich bin dafür, keinen Millimeter zu weichen.“
Ronen Steinke
Man kann sich diesem Appell nur anschließen und den Ausstellungsmachern für ihre kraftvolle und aufklärerische Arbeit danken.
Titelbild: © Noah Cohen