Ein Ort, an dem man gut und gerne lebt: mit offenen Spielplätzen, jungen Bäumen, frischer Luft, kristallklarem Wasser, weiten sauberen Straßen und netten Nachbarn. Der Traum vom besseren Leben an belebten Plätzen, hinter weißen Fassaden, die sozialen Aufstieg bedeuten.
Nach dem lauen Frühling kommt der Sommer und mit ihm die Hitze. Plötzlich dampft der Asphalt und die Tartanplätze werden zu endlosen Hitzeflecken. Die kleinen Kinder und alten Leute müssen sich von den gelb gewordenen Wiesen in ihre Häuser flüchten, weil kein Baum hier groß genug ist, um seinen Schatten über die glühenden Betonbänke zu werfen. Die grüne Stadt der Zukunft wird von der Hitzeinsel des Grauens verschlungen. Was wird nun aus unserem Traum werden, für den wir doch so viel investiert haben?
Unsere kleine Großstadt an der grünen Isar
München, die Weltstadt mit Herz. Urige Kneipen, der Englische Garten mit seinem wilden Nordteil, daneben die grüne Isar, die uns das lebensspendende Wasser aus dem nahen Gebirge bringt.
Zwei Möglichkeiten hat der interessierte Besucher dieser alten Residenzstadt, um sich auch die Innenstadt einmal näher anzusehen. Entweder mit dem Zug zum Hauptbahnhof und dann zu Fuß in die Altstadt, oder mit dem Auto ins Parkhaus. Wählt man die erste Möglichkeit, so findet man sich zuerst auf einer unendlich großen Baustelle wieder, auf der man sich so gut möglich für den Nachmittag verlaufen kann. Wählt man die zweite Option, so muss man nicht selten mehrere Runden um den Altstadtring fahren, um überhaupt erst einmal einen Parkplatz zu bekommen. Ja, wo ist sie denn nur, unsere grüne Stadt?
Der Asphaltdschungel an der Sonnenstraße – Ein Traum der 1950er
Da stehen wir also auf der Sonnenstraße vor dem Stachus und bemerken zunächst geschäftiges Treiben. Auf der Straße stehen im Gegensatz zum zentralen Platz sogar ein paar Bäume. Nur, und das fällt auf, stehen diese weit weg von den Fußgängern zwischen den beiden Fahrbahnen und werfen ihren Schatten allein auf die Trambahnschienen. Vielleicht heißt sie auch deswegen Sonnenstraße, weil hier immer die Sonne scheint, oder weil hier immer die Hitze knallt, so ganz kann man das nicht sagen. Und im Winter zieht es dafür ungemein kalt. Denn so ein langer Autoring lädt auch den Wind ein, seine Bahnen wild und ungestüm durch die Gesichter der Fußgänger zu ziehen. Kann sein, dass dies auch einfach eine schlaue Geschäftsidee war, denn man rettet sich so umso lieber in eines der vielen Geschäfte auf beiden Seiten.
Zwei Wissenschaftler des Vereins „Climateflux“ untersuchen städtische Hitzeinseln
Ein paar hundert Meter weiter ist das Sendlinger Tor. Hier steht Daniele Santucci zusammen mit seinem Kollegen Ata Chokhachian vom Verein “Climateflux”. Sie organisieren regelmäßig Klima-Stadtspaziergänge. Dabei sehen sie gar nicht aus wie Umweltaktivisten. Keine Jutebeutel, keine Hanfklamotten, sogar französisches Parfum meine ich zu riechen. Die beiden sind Absolventen der Technischen Hochschule und sehen ihre Klima-Spaziergänge als ernsthafte wissenschaftliche Arbeit.
“Nach dem Krieg wurden die deutschen Städte neu konzipiert. Die alten engen Gassen wurden aufgerissen, breite Boulevards sollten ein neues Klima schaffen. Politisch, wie als auch einfach städtebaulich. So entstand die heutige Autostadt. Man sollte mit seinem Statussymbol, dem Auto, direkt in die Stadt fahren können, einkaufen, essen, ins Kino gehen und dann wieder gemütlich nach Hause schippern”, erzählt Daniele Santucci.
Autostadt – oder doch die grüne Stadt?
Das hatte seinen Charme, hat uns aber auch die Probleme bereitet, vor denen wir heute eben stehen, so Ata. Weiter erklärt er:
“Die Autostadt versiegelt die Böden, beseitigt die Bäume und hebt den Lärmpegel unglaublich an.” Was das bedeutet, merkt man spätestens, seitdem München explosionsartig wächst: Es wird nicht nur enger, sondern auch zunehmend ungemütlicher. “Und heißer! Denn wie Sie sehen, gibt es hier kaum Bäume und wenn, sind die an Stellen platziert, die kaum Einfluss auf die Fußgängerwege haben.”
Das wird also das Hauptproblem unserer Zukunft werden: Hitzeinseln, die im Sommer zur Gefahr für Leib und Leben werden. Aber die grüne Stadt kann hierfür Lösungen bieten.
Bäume als Kühlanlagen der Fußgängerzonen
Daniele und Ata haben nicht nur in München Messungen gemacht, sondern auch in Barcelona, Paris, Marseille und Rom. Und überall gab es ähnliche Ergebnisse. Besonders auffällig war laut Daniele vor allem eines:
“Ein großer Baum kühlt die Umgebung um etwa 10 Grad ab und spendet neben Schatten auch Feuchtigkeit. Jedes Jahr sterben tausende Menschen an Dehydrierung. Vor allem alte Menschen sind da betroffen. Das gefährliche ist, dass man das meist gar nicht merkt, bis man plötzlich umfällt.”
Auch die Stadt hat das erkannt und will den Altstadtring und hier speziell die Sonnenstraße völlig neu denken. Mehr Grün, mehr Wege, weniger Straße. Das wird wohl selbst die Autofahrer nicht weiter stören, denn die sind sowieso nicht glücklich mit der nicht enden wollenden Blechlawine, die sich im Schneckentempo zum Arbeitsplatz quält. Wer zum Shoppen kommt, der wird sein Auto sowieso nur nutzen, wenn das Auto zum Auftritt passt. Da stören dann auch keine Straftzettel. Aber bleiben wir beim Thema und stellen eine wichtige Frage: Hat das auch Nachteile?
“Das kommt drauf an, ob man die Änderung des eigenen Lebensstils als Problem betrachtet, oder ob man selbst zu den anpassungsfähigen Menschen gehört. Aber tatsächlich müssen wir vor allem unseren Individualverkehr und unsere Art Städte zu planen anpassen”, erläutert Ata.
Zurück zur historischen Städtearchitektur
Die historische Stadt soll als grüne Stadt wiedergeboren werden. Enge Gassen, die Kühle spenden, Windböen brechen und Wohnraum für Menschen bieten, die in der Gegend arbeiten.
“Dann muss man nicht mehr stundenlang pendeln, so wie das die letzten Jahrzehnte en vogue war”, hofft Daniele, während er sich nach zwei hupenden PKWs umblickt.
Das Auto als Statussymbol wird verschwinden, das sieht man bei der jüngeren Generation sowieso immer mehr. Nur ist unsere Infrastruktur immer noch auf eben jenen Autoverkehr ausgelegt. Das sieht man nicht nur an der Ampeltaktung, sondern auch an den alten Radwegen, die für kindergerechte Lastenfahrräder viel zu schmal geworden sind. Es kommt zu Unfällen, Ampelstaus und den daraus resultierenden traditionellen bayrischen Granteleien. Das baut zwar Frust ab, führt aber zu keiner anhaltenden Befriedigung. Trotzdem warnt Ata vor Verallgemeinerungen:
“Es gibt tatsächlich keine Generallösungen. Man muss das von Straße zu Straße, Hinterhof zu Hinterhof individuell planen. Da braucht es Kurse für Städteplaner und Hausbesitzer. Gerade die Frage, welche Bäume und Sträucher in einer stark verdichteten Stadt am besten wachsen und am effizientesten mit der Umgebung harmonieren, wird im Moment noch untersucht. Eines wissen wir schon: Städte haben heute die größte Artenvielfalt an Gewächsen, Insekten und auch Vögeln.”
Die klimaresilitente grüne Stadt der Zukunft
Ende September erschien hierzu eine Studie der TU München, bei der die beiden mitgewirkt haben: “Green City of the Future. Klimaresiliente Stadtentwicklung für die Zukunft”.
Daniele und Ata verabschieden sich jetzt, denn Daniele muss den Zug nach Bozen erwischen. Ich hatte ihn noch scherzhaft gefragt, ob er über die Alpenpässe mit seinem Fahrrad oder doch lieber mit dem Auto fährt. So kann man sich täuschen. Hoffen wir, dass das auch für die derzeit immer düsterer werdenden Zukunftsprognosen in Sachen Klimawandel gilt. Ein Wandel ist möglich, das zeigen die beiden Forscher jedenfalls.
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