Eine Reportage von Niels Förster –
Der Wanderer sucht oft Ruhe und Idylle in unberührter Natur. Doch das geht immer mehr verloren, weil wildromantische Wanderwege in den bayerischen Alpen zunehmend zu Forststraßen ausgebaut werden. Und nicht immer ist dieser Ausbau sinnvoll. Eine kritische Beobachtung.
Es ist ein warmer Tag im August. Am Himmel ist keine Wolke zu sehen. Es riecht nach Nadeln und Harz und ein Specht bearbeitet einen Baum. Auf dem Weg von Bernau am Chiemsee hinauf zur südlich gelegenen Lindlalm verstummt langsam der Lärm der A8. Ein kleiner Wanderweg, kaum mehr als ein Trampelpfad, führt steil den Berg hinauf. Es ist ein herrlicher Wandertag. Bis plötzlich, wie aus dem Nichts, eine hoch aufgeschüttete Forststraße auftaucht und den filigranen Wanderpfad buchstäblich unter sich begräbt.
Die Idylle ist zerstört: Eine viereinhalb bis stellenweise zehn Meter breite Schotterstraße türmt sich vor dem Wanderer auf. Wer hier weitergehen will, muss einen etwa zwei Meter hohen Damm hochkraxeln, auf dem dann die Forststraße verläuft. Sie schlängelt sich wie ein grau-steiniges Ungeheuer über fast einen Kilometer durch den ansonsten so naturbelassenen Wald.
Die Forststraße wurde im Sommer 2015 unter dem Protest lokaler Naturschützer gebaut. Laut BUND Naturschutz seien die Baumaßnahmen „massiv“ und „überzogen“ gewesen. „Der Nutzen dieser Forststraße ist sehr fragwürdig“, sagt Sepp Genghammer, Fraktionssprecher der Grünen in Bernau. „Der Weg ist aus wirtschaftlicher Sicht nutzlos. Man müsste an anderer Stelle noch mehr Bäume fällen, um die Kosten wieder zu decken.“
Der Fichtenwald soll zu einem Mischwald umgebaut werden
Warum eine Forststraße bauen, wenn sie nicht wirtschaftlich ist? Der staatliche Forstbetrieb Ruhpolding verteidigt den Bau. Die Straße sei notwendig, um den Fichtenwald zu einem Mischwald umzubauen. Außerdem sei sie bereits nach zehn Jahren wieder mit Gras bewachsen und kaum noch zu sehen. Ein Jahr nach dem Bau der Straße ist von Gras noch wenig zu sehen. Die Forststraße liegt noch immer da wie eine offene Wunde. Kaum vorstellbar, dass hier einmal ein beschaulicher Wanderpfad verlief.
“Der Bau war eher hastig als sorgfältig”
Einen reinen Fichtenwald zu einem Mischwald umzubauen kann durchaus sinnvoll sein. Denn vor allem Fichten sind durch ihr flaches Wurzelsystem auf regelmäßige Niederschläge angewiesen und haben bei Stürmen weniger Halt im Boden. Laut BUND Naturschutz handelt es sich bei dem betroffenen Wald aber nicht um einen reinen Fichtenwald. Und tatsächlich kann man selbst als Laie feststellen, dass hier mehr als nur Nadelbäume stehen.
Und noch ein Punkt fällt bei genauer Betrachtung der Historie auf: Warum fand der Ausbau zunächst ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit statt? Das macht den Anschein von Geheimniskrämerei. Und die deutet darauf hin, dass es etwas zu verbergen gibt. Laut Genghammer muss auch der Bau selbst eher hastig als sorgfältig durchgeführt worden sein. Denn viele Bäume seien stark beschädigt oder teilweise unter Schutt begraben worden, führt er aus. Und so stehen sie noch immer am Wegesrand.
Was bleibt, sind Narben im Wald
Die Forststraße bei der Lindlalm ist kein Einzelfall. Derzeit werden im Alpenraum rund 35 Kilometer neue Forstwege geplant oder gebaut. Davon fast 10 Kilometer in Naturschutzgebieten oder Natura-2000-Gebieten. Also Gebiete, die eines besonderen Schutzes bedürfen. In der Zeit von 2006 bis 2012 gingen von 435,2 Hektar Rodung 189,9 Hektar auf das Konto der Landwirtschaft. Laut Stellungnahme der bayerischen Regierung zur Umsetzung der Alpenkonvention wurde bisher noch keine Forststraße zurückgebaut. Also ist auch bei dieser neuen Straße nicht damit zu rechnen, dass Derartiges geschieht.
Angesichts der Massen an Schutt, die hier verbaut wurden, ist es kaum vorstellbar, dass in absehbarer Zukunft wieder etwas wächst. Ein Jahr ist seit dem Bau vergangen. Hier und da lugen tatsächlich Grasbüschel durch, wie es laut Forstbetrieb auch sein sollte. Aber dass in neun weiteren Jahren alles zugewachsen sein wird, scheint bei den paar Grashalmen doch sehr zweifelhaft. Was am Ende bleibt, sind Narben im Wald und eine Verschandelung der Natur in einem überzogenen und unverhältnismäßigen Maße. Das alles, um den Wald uns anzupassen. Der Einwand von Sepp Genghammer ist daher berechtigt: „Warum sollte man die Natur nicht einfach sich selbst überlassen?“, fragt sich nicht nur er. Auch Naturschutzverbände wie der BUND Naturschutz oder Mountain Wilderness stellen sich und den Bayerischen Staatsforsten diese Frage. „Sie hat in Tausenden von Jahren sehr gut gezeigt, dass sie dazu imstande ist“, fügt er noch hinzu.