Momo ist einer von Tausenden Flüchtlingen, die wegen der Repressionen in Äthiopien aus dem Land am Horn von Afrika geflohen sind. Äthiopien ist mit mehr als 110 Millionen Einwohnern das zweitbevölkerungsreichste Land Afrikas und ein Bürgerkriegsland.
2015 kam Momo nach Bayern. In den letzten sieben Jahren durfte er wegen der angeblich geringen Bleibeperspektive in Deutschland weder arbeiten noch eine Ausbildung machen. Ich fragte ihn nach seiner Flucht und seinem Leben in Deutschland.
Frage: Hallo Momo, nochmals vielen Dank, dass du dich bereit erklärt hast, mir ein Interview zu geben.
Momo: Sehr gerne, es freut mich auch.
Frage: In welchem Teil von Äthiopien bist du geboren und wie viele Sprachen spricht man dort?
Momo: Ich komme von der Ostseite, aus der Region Oromia im Bezirk Bale. Da ich der ethnischen Gruppe der Oromo angehöre, ist meine Muttersprache Afaan Oromo. Dort leben auch somalische Minderheiten, Amharen und einige ethnische Gruppen der südlichen Nationen und Nationalitäten. Wir leben alle friedlich zusammen. Unser Problem ist nur die Politik.
Frage: Was bedeutet das? Warum macht die Politik das Zusammenleben in Äthiopien unmöglich?
Momo: Die meisten Politiker kommen aus Nordäthiopien, und sie wollen uns ihre Werte, Sprache und Tradition aufzwingen. Sie sind auch undemokratisch. Denn sie arbeiten mit Marionetten, also mit Menschen, die im Sinne der Autokraten handeln, und unterdrücken uns seit Jahren brutal.
Frage: Hast du deshalb Äthiopien verlassen?
Momo: Ich habe gegen die Landraub- und Enteignungspolitik demonstriert. In Äthiopien gibt es keine Meinungs- oder Pressefreiheit. Aber wir jungen Leute und Studenten konnten nicht tatenlos zusehen, wie die autokratische Regierung Bauern enteignete. Sie verkauft ihr Land dann an ausländische Investoren. Dies drängt Tausende Familien in die Armut, so dass sie mit ihren Frauen und Kindern auf der Straße leben müssen.
Außerdem werden die Oromos systematisch unterdrückt: Die Regierung will die Sprache und Kultur der Oromo nicht fördern. Bekannte Oromo-Politiker sitzen im Gefängnis. Tötung, Verhaftung, Folter, Vergewaltigung oder Entführung sind für die Oromo alltäglich geworden. Derzeit hält diese Situation an und hat sich im Gegenteil sogar sich noch verschlimmert.
Frage: Die Menschen wehren sich friedlich und gehen für ihre Freiheit und ihre Rechte auf die Straße. Was passiert üblicherweise nach Demonstrationen in Äthiopien?
Momo: Die Demonstrationen werden von Regierungstruppen gewaltsam beendet. Viele werden auf der Stelle festgenommen. Als ich 2015 zuletzt dabei war, gab es auch Tote und Verletzte. Da Tausende Menschen daran teilnahmen, waren die Regierungstruppen nicht in der Lage, alle Teilnehmer festzunehmen.
Deshalb war ich einer der wenigen, der fliehen konnte. Wenige Tage später kam es zu Hausdurchsuchungen und willkürlichen Festnahmen. Ich habe erfahren, dass ich gesucht werde und hatte Angst, gefoltert zu werden. Also beschloss ich, das Land zu verlassen.
Frage: Wie bist du entkommen?
Ich verließ zunächst meinen Wohnort. Dann kontaktierte ich Schleuser, also Menschen, die andere für Geld über die Sahararoute nach Europa bringen.
Frage: Warum Europa?
Man will nach Europa gehen, weil man hört, dass es dort ein demokratisches System gibt. Viele denken nur an wirtschaftliche Aspekte. Aber das ist nicht immer richtig. Es hat uns viel Geld gekostet, um vor Autokraten zu fliehen. Wir wollten doch nur in einer friedlichen Atmosphäre leben.
Frage: Wie viel hast du bezahlt, um nach Europa zu kommen? Und wer hat es finanziert?
Momo: Etwa zehntausend Dollar. Damals, im Jahr 2015, war ich etwa fünf Monate unterwegs. Ich musste durch den Sudan, Libyen und Italien, bevor ich in Deutschland ankam. Ein geplantes Zielland hatte ich nicht, aber ich bin in Deutschland geblieben.
Frage: Welche Erinnerung blieb an den Fluchtweg?
Momo: Wenn ich mich daran erinnere, kommen mir viele ungeheuerliche Geschichten in den Sinn: Menschliche Überreste in der Sahara, die Brutalität der Schmuggler und die Inhaftierung durch verschiedene Militante.
Oder die Belästigung von Frauen und Kindern durch die Schlepper. Dann das Gefängnis in Libyen, die Angst und das Unglück im Mittelmeer. Ich möchte mich gar nicht daran erinnern müssen.
Frage: Als du endlich in Deutschland angekommen warst: Wie hast Du Dich gefühlt?
Momo: Ich kam während der Flüchtlingswelle 2015. Die Regierung von Angela Merkel wollte damals nur die Krise in Syrien und Eritrea bewältigen. Für uns, die Flüchtlinge aus Äthiopien, gab es in den ersten ein bis drei Jahren nur Asylbewerbergeld.
Wir saßen zu Hause und warteten. Nach der Identitätsbehandlung und der Anhörung dürfen wir immer noch nicht arbeiten, keine Ausbildung machen, eigentlich überhaupt nichts tun.
Die Bürokratie in Deutschland ist so kompliziert. Und der Druck wurde so groß, dass viele Äthiopier Deutschland wieder verlassen mußten. Sie sind nach Frankreich oder England gegangen. Dort ist es anscheinend wesentlich einfacher, zu arbeiten oder beruflich etwas lernen.
Frage: Und jetzt?
Momo: Ich bin jetzt fast sieben Jahre in Deutschland. In der Vergangenheit habe ich mehrere Jobs gefunden. Viele Baufirmen, Reinigungsfirmen und Lieferfirmen wollten mich anstellen. Einige haben sich sogar an die Ausländerbehörde gewandt. Aber sie wurden immer wieder von der Ausländerbehörde blockiert.
Für das Landratsamt wäre es eigentlich besser, wenn wir arbeiten. Das spart Staatshilfe. Aber ich darf aber immer noch nicht arbeiten oder eine Ausbildung machen. Ich hoffe, dass die neue Regierung daran etwas ändert. Und warte immer noch, aber ich bin geduldig. Vielleicht wird es besser!
Frage: Danke, dass du hier warst. Ich werde mich bald bei dir melden, um zu erfahren, wie es dir und deinen Freunden geht.
Momo: Danke, auch!
Was das Ankommen schwierig macht:
Flüchtlinge dürfen grundsätzlich nur dann in Deutschland arbeiten, wenn sie ihre Identität geklärt haben. Die Realität: Was deutsche Behörden nicht hören wollen: 1. Es gibt kein zentrales Register in Äthiopien, in dem alle Bürger registriert sind. Daher kann man nicht einfach als Staatsbürger dieses Landes bestätigt werden. 2. Personalausweis, Reisepass und andere Dokumente werden nur auf persönlichen Antrag ausgestellt und sind schwierig zu bekommen.