Das Stichwort „Agroforst“[1] taucht immer häufiger in Debatten um naturbasierte Lösungen der Klimakrise auf. Die Wortkombination aus „Agronomie“ und „Forst“ steht für eine Methode klimagerechter Landwirtschaft, in der verholzende Vegetation mit Ackerfrüchten, manchmal auch mit Tieren, in ein- und dieselbe Nutzfläche integriert werden. Das können Baumstreifen auf Äckern sein, deren Abstände den Einsatz landwirtschaftlicher Maschinen erlauben. Auch heckenumsäumte Weiden zählen dazu, landwirtschaftliche Aktivität in einem bestehenden Wald oder Hühnerhaltung auf einer Streuobstwiese.
Die dichte Bepflanzung und der regelmäßige Schnitt der verholzenden Pflanzen ahmen die Dynamik eines Mischwaldes nach. Sie beschleunigen die natürlichen Abläufe der Humus-Entstehung. Dadurch erhöhen Agroforstsysteme in überschaubaren Zeiträumen die Fruchtbarkeit und Feuchtigkeit der Böden. Sie verbessern deren Wasserspeicherfähigkeit, den Grundwasserstand und die Artenvielfalt. Der Windschutz und die Abkühlungsleistung der Bäume und Sträucher wirken stark positiv auf das Mikroklima. Abgerissene regionale Wasserkreisläufe regenerieren sich, weil Bäume Regenmacher sind.
Im Interview spreche ich mit Agroforst-Pionier Josef (Sepp) Braun aus dem Landkreis Freising über das Potenzial dieser neuen und zugleich uralten Form von Baumfeldwirtschaft. Sepp Braun erklärt, warum wir sie heute weltweit als Schlüsseltechnik für die Wende zu einer klimarettenden Landwirtschaft einsetzen müssen.
Herr Braun, Sie nennen sich ausdrücklich „Bio-Bauer“. Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?
Sepp Braun: Das war ein Entwicklungsprozess. Ich habe eine klassische Ausbildung in der modernen Landwirtschaft und war ein konventioneller Ackerbauer. Doch die Auseinandersetzung mit der katholischen Landjugend hat mich gezwungen, das, was ich gelernt hatte, zu überdenken. Meine Kollegen von der Landjugend haben gesagt: „Das, was du da machst, dieser Ackerbau, das ist Vergewaltigung der Natur. So geht man mit der Natur nicht um.“
Das Zweite war der Abwehrkampf gegen den neuen Münchner Flughafen, wo ich als junger Kerl engagiert war. Ich habe leider feststellen müssen, dass Strauß & Co. uns nicht ernst genommen haben. Dadurch habe ich eine kritische Einstellung gegenüber Aussagen der Politik – eine konstruktiv-kritische.
Das Dritte war Tschernobyl. Meine Frau und ich haben gesehen: Wenn wir bewusst Verantwortung für unsere vier Töchter und für die Schöpfung übernehmen wollen, dann haben wir eine größere Verantwortung als viele Andere. Weil wir tatsächlich mit der Natur arbeiten. Deshalb können wir so nicht weitermachen.
1988 haben wir auf organisch-biologischen Landbau umgestellt. Für mich ist das die Weiterentwicklung einer jahrtausendealten bäuerlichen Landwirtschaft. Ich begegnete Hans-Peter Rusch, Wissenschaftler und Mitbegründer des organisch-biologischen Landbaus. Er zeigte mir, dass sich die Probleme, die wir geschaffen haben, alle lösen, wenn wir die Lebendigkeit der Natur wiederherstellen. Einfach weil die Natur oder die Schöpfung so gut ist.
Deshalb nenne ich mich auch „Bauer“ und nicht „Landwirt“. „Bauer“ kommt von „bauen und bewahren“, „Landwirt“ hingegen von „Wirtschaft“.
Können Sie jemandem, der keine Vorkenntnisse hat, kurz erklären, was Agroforstwirtschaft ist?
Im Prinzip ist es ganz einfach: Den Wald auf den Acker holen! Man pflanzt im Abstand von 60 bis 80 Metern Baumreihen auf die Ackerflächen.
Wie kamen Sie selbst zum Agroforst?
Ich bin ein leidenschaftlicher Pflanzenbauer. Doch vor 15 Jahren traf ich Professor Ulrich Ammer, damals Forstwissenschaftler in Weihenstephan. Von ihm erfuhr ich, dass der Mischwald eine doppelt so hohe Photosynthese-Leistung hat wie der Mais, unsere beste C4-Pflanze.
C4-Pflanzen:
Bei ausreichend hoher Strahlung und Temperatur können sie in kürzerer Zeit mehr Biomasse aufbauen als C3-Pflanzen. C4-Pflanzen, wie zum Beispiel Mais, Hirse und Zuckerrohr, schließen bei hohen Temperaturen genauso die Spaltöffnungen ihrer Blätter wie C3-Pflanzen (97 Prozent der Pflanzenarten), um Austrocknen durch Transpiration zu verhindern. C4-Pflanzen haben jedoch einen besonderen Photosynthese-Mechanismus, um die erschwerte CO2-Aufnahme bei fast geschlossenen Spaltöffnungen und hohem Lichtangebot mehr als auszugleichen: Sie sind imstande, im Zellinneren zehnmal höhere CO2-Konzentrationen aufzubauen als sie in der Außenluft bestehen. Dadurch wird RuBisCO, das wichtigste Enzym der Photosynthese, beständig mit ausreichend CO2 versorgt. Die Zuckerproduktion und damit das Wachstum laufen auf Hochtouren. Für diesen Mechanismus spielt Oxalacetat, eine Kohlenstoffverbindung mit vier Kohlenstoffatomen, eine zentrale Rolle. Sie hat den C4-Pflanzen ihren Namen gegeben.
C3-Pflanzen hingegen assimilieren Kohlenstoff mit einer Verbindung, die drei Kohlenstoffatome enthält. Ihre Photosynthese-Leistung sinkt bei Trockenheit und Hitze. Damit sind sie C4-Pflanzen unter Trockenklima-Bedingungen ökophysiologisch unterlegen.
Quellen: wikipedia: https://learnattack.de/schuelerlexikon/biologie/c4-pflanzen; https://www.agrarheute.com/pflanze/mais/agrarheute-erklaert-funktionieren-eigentlich-c4-pflanzen-567512 (25.09.21)
Ich dachte: Verdammt nochmal! Du bist leidenschaftlicher Ackerbauer. Und dann ist der Mischwald ohne das Zutun des Menschen doppelt so gut wie das, was wir meinen entwickelt zu haben! Das war für mich der Impuls, um zu erkennen: Von der Trennung zwischen Forstwirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau werden wir uns verabschieden müssen.
Außerdem war ich damals in der Permakultur-Bewegung aktiv und kannte Waldgartensysteme, beispielsweise in Uganda. Ihre Ertragsleistung pro Fläche lag um ein Vielfaches höher als bei Monokultursystemen. So wurde mir klar, wohin der Weg für die Landwirtschaft gehen muss.
Es geht also darum, die mögliche Leistung der Natur pro Fläche besser zu nutzen?
Genau. Das kann man sehr nüchtern erklären: Im Mischwald sind unterschiedlich schattentolerante Pflanzen in der Vertikale stufig aufgebaut. Dadurch liegt der Blattflächenindex pro Flächeneinheit um ein Vielfaches höher als in Monokulturen. Diese haben auf einer bestimmten Höhe ein Blätterdach drüber und fertig.
Wenn wir die Sonnenenergie wirklich effizient nutzen wollen, müssen wir weg von Monokultursystemen. Wir müssen zu Mischkultursystemen nach dem Vorbild eines Mischwaldes übergehen. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, sondern mit naturwissenschaftlichen Grundsätzen.
Das moderne Landbausystem haben wir in den letzten 100 Jahren durch den Einsatz fossiler Energieträger entwickelt. Wir haben mit dem Haber-Bosch-Verfahren Kunstdünger erzeugt und damit Energie von außen in das System hineingeführt. Mit diesem Blödsinn müssen wir jetzt aufhören. Die Landwirtschaft wird sich radikal verändern. Allein schon dadurch, weil wir den größtmöglichen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern brauchen.
Wie ging Ihr Weg zur Agroforstwirtschaft weiter?
Wir hatten uns nach Tschernobyl mit erneuerbaren Energien beschäftigt. 15 Jahre lang haben wir Pflanzenöl angebaut, vor allem Raps. Dafür hatten wir auf unserem Hof ein Blockheizkraftwerk errichtet und das Auto sowie den Schlepper umgebaut. Aber wie gesagt: Ulrich Ammers Hinweis hat mich umgetrieben.
Dann kam eine weitere Entdeckung. Paul Crutzen, Nobelpreis-Träger für Chemie, hat 2008 einen Artikel veröffentlicht[2]. Danach wird die hohe Stickstoffdüngung beim Raps im Frühjahr von der Bodenbiologie zum Teil wieder in die Atmosphäre entsorgt. Und zwar in Form von Lachgas. Das ist dreihundertmal so klimaschädlich wie Kohlendioxid. Crutzen hatte damals hochgerechnet, dass die Lachgas-Emissionen am Schluss höher sind als das CO2, das der Raps beim Wachstum bindet. Daraus folgt, dass der ganze Pflanzenöl-Anbau für erneuerbare Energien aus Sicht des Klimaschutzes unsinnig ist.
Ich fragte mich: Wie können wir auf andere Weise saubere eigene Energie erzeugen? Der Anlass, in den Agroforst einzusteigen, war das Holz, das wir aus den Baumstreifen ernten können. Zu Hackschnitzeln verarbeitet können wir damit eine Holzgas-Anlage betreiben und für unseren Hof CO2-neutral Strom, Wärme und Pflanzenkohle erzeugen.[3] Wir erzeugen mehr Strom, als wir selbst verbrauchen.
2008 haben wir mit dem Agroforst angefangen, mit schnellwachsenden Baumarten wie Pappel, Weide und Erle. Später haben wir mit Winterlinde, Ahorn, Esche, Eberesche und Haselnuss einiges probiert und in diesem Zusammenhang Forschungsvorhaben initiiert. Sie sind über neun Jahre an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) und an der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) gelaufen. Unter der Leitung von Dr. Klaus Wiesinger beziehungsweise von Prof. Christian Ammer, dem Sohn von Ulrich Ammer.
Was haben Sie gepflanzt und was wurde erforscht?
Zum einen haben wir eine Baumarten-Sichtungsfläche mit verschiedenen Untersaaten angelegt. Das geschah an zwei Standorten: bei uns in Dürneck und in Puch bei Fürstenfeldbruck. Wir wollten sehen, welche Untersaat geeignet ist, den Beikraut-Druck bei der Pflanzung zu reduzieren. Und welche Baumarten unter unseren Klima- und Bodenbedingungen am besten wachsen.
Zum anderen haben wir in Nord-Süd-Richtung einen klassischen Agroforst-Streifen angelegt. Er war zehn Meter breit, mit drei bis sechs Doppelreihen Pappeln, Weiden, Erlen und Flatterulmen. Wir haben sie jeweils in Blöcken angepflanzt. Die Baumdichte lag bei 4000 Pflanzen pro Hektar. Bis 2016 haben wir insgesamt 25.000 Bäume gesetzt. Sie bedecken eine sieben Kilometer lange und fünf Hektar große Fläche.
Über sieben Jahre sind auf der Westseite 40 Meter vor der Hecke und auf der Ostseite 60 Meter nach der Hecke in Exaktversuchen die Erträge ermittelt worden. Außerdem natürlich die Bodentemperatur, die Bodenfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Bodenflora und Bodenfauna. Also das ganze Programm. Wir wollten sehen, ob und inwieweit Agroforst unter unseren Bedingungen tatsächlich positive oder negative Wirkungen auf die Gesamtleistung der Böden hat.
Zu welchen Ergebnissen führten Ihre Agroforststreifen bei den Erträgen?
Das kann man so zusammenfassen[4]: Unter unseren Klimabedingungen gleicht der Agroforst in der ökologischen Landwirtschaft den Nachteil des Schattenwurfs der Hecke komplett aus, weil die Erträge sich an anderen Orten der Gesamt-Anbaufläche erhöhen. Nach sieben Jahren war die Baum-Hecke im Mittel 12 bis 14 Meter hoch. Wir konnten zwar insgesamt keine höheren Erträge bei den Ackerkulturen feststellen. Doch mit gleichbleibenden Acker-Erträgen ist der Agroforst in der Gesamtleistung durchaus höher. Denn es fallen zusätzlich bis zu 20 Tonnen Trockenmasse Holz von den Bäumen an und der Humusaufbau vermehrt sich.
Freilich: Den Humusaufbau zahlt dir keiner. Und die Hackschnitzelpreise sind momentan im Keller. Aber es war nicht mein Ziel, dass es sich rechnet, sondern etwas anderes. Wenn man sieht, wo wir mit der Landwirtschaft hin müssen, dann wurde durch die Untersuchungen völlig klar, dass wir in Richtung Agroforst gehen müssen.
Inzwischen weiß man, dass Mehrerträge durch Agroforst umso höher ausfallen, je trockener eine Region ist. Aber wir konnten zeigen, dass es auch unter relativ feuchten Bedingungen keine Ertragseinbußen gibt. Das war eine wichtige Erkenntnis. Ich hatte mir natürlich noch mehr gewünscht, das ist klar. Weil es dann einfach noch attraktiver gewesen wäre – aber na ja, immerhin!
Wären wir mit Agroforst für die Dürren gewappnet, die auf uns zukommen?
Ja, da gibt es super Erfahrungswerte aus der ehemaligen Sowjetunion. Benjamin Seitz, ein junger Schweizer Bodenkundler, hat sie bei den Humus-Tagen 2019 im österreichischen Kaindorf vorgestellt[5]. Große Agrargebiete in der westrussischen Kamennaya-Steppe, südöstlich von Woronesch, hatten vor ungefähr 120 Jahren massive Probleme mit Trockenheit. Die dortige Schwarzerde war von Natur aus sehr produktiv. Doch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu Bodenerosion und häufigen Ernteausfällen durch anhaltende Dürre. Der Grundwasserstand war von drei auf acht Meter gesunken und es gab bereits Hungersnöte.
Die Einwohner haben einen Gelehrten, Vasily Dokuchaev, gefragt, was sie machen sollen. Dokuchaev unternahm mit Agronomen, Botanikern, Förstern, Geologen und Hydrologen eine Forschungsexpedition. Seine Antwort lautete: „Ihr müsst 17 Prozent eurer Ackerflächen mit Bäumen und Sträuchern vernetzen.“ 17 Prozent – das ist eine interessante Zahl, auch für die Politik!
Die Bauern erwiderten erst: „Du spinnst! Wir hungern und sollen Flächen für Bäume verwenden?“ Doch aufgrund der Not haben sie es schließlich gemacht. Sie haben Windschutzstreifen aus Stieleichen angelegt und künstliche Teiche zur Speicherung des Schnee- und Regenwassers. Erosionsrinnen wurden mit Forstbäumen bepflanzt und ackerbaulich ungeeignete Flächen mit Obstbäumen.
Das Ergebnis war: Innerhalb von 20 Jahren stieg der Grundwasserstand von acht Meter Tiefe unter der Erdoberfläche wieder auf drei Meter an. Die Erträge haben sich stabilisiert. Es musste niemand mehr hungern. Das ist alles dokumentiert worden. Ganz ehrlich: Wenn ich mir Nordbayern anschaue oder Brandenburg oder Sachsen, dann ist nicht die Frage, ob wir mit Agroforst Versuche machen oder darüber nachdenken sollten. Sondern wir müssen Agroforst umsetzen – und zwar möglichst schnell.
Wie haben die Baumhecken die Trockenheit beendet? Könnten wir Agroforst als klimarettende Landwirtschaft auch global einsetzen?
Wenn man die Landschaft ausräumt, dann reißen die regionalen Wasserkreisläufe ab[6]. Genau das haben wir mit der Flurbereinigung die letzten 60 Jahre weltweit gemacht. In den heckenfreien Strukturen geht das Wasser hinauf in den globalen Wasserkreislauf. Das führt zu exakt den Problemen, die wir jetzt haben. Umgekehrt gilt: Wenn wir wieder Hecken pflanzen, können wir die regionalen Wasserkreisläufe wieder in Gang setzen. Das zeigt das Beispiel aus der ehemaligen Sowjetunion.
Berechnungen von Klimaforschern legen nahe, dass wir die Atmosphäre wieder komplett abkühlen könnten. Es würde genügen, weltweit alle Bäume, die wir in den letzten hundert Jahren gerodet haben, erneut zu pflanzen[7]. Allein durch die Kühlleistung der Bäume und Sträucher könnten wir die Erderwärmung rückgängig machen. Mit CO2-Speicherung allein wäre das Bäume-Pflanzen nicht der Schlüssel. Wohl aber in Kombination mit der Kühlleistung der Bäume. Das ist hochspannend.
Noch etwas, das die Wenigsten wissen: Ohne grüne Pflanzen gibt es keinen Regen.[8] Nicht nur, weil die Bäume über die Spaltöffnungen ihrer Blätter Wasser verdunsten. Sondern auch, weil sie dabei eine Reihe von Aerosolen mitverdunsten: Pilzsporen, Bakterien und so weiter. Der Wasserdampf in Verbindung mit den Aerosolen ist der Impfstoff, der hauptsächlich dafür sorgt, dass es überhaupt regnet.
Wenn man Wüsten begrünen will, dann muss man an der Küste anfangen. Dort muss man Streifen von Bäumen pflanzen. Wasser ist genügend in der Atmosphäre durch die Verdunstung aus dem Meer. Nur kann der Wasserdampf nicht abregnen, weil er ohne Pflanzen nicht ausreichend geimpft wird. Dann aber impfen die Bäume und Sträucher die Wolken und der Regen fällt. Zwischen den Bäumen wird es feuchter und grüner. Auf diese Weise kann man die Niederschläge immer weiter ins trockene Landesinnere hinein befördern.
Was gab es auf Ihren Äckern noch an Veränderungen durch die Agroforststreifen?
Augenfällig ist, dass das Niederwild durch diese Streifen wieder geschützt ist. Rebhühner, Fasane, Hasen, Rehe und Kitze halten sich dort auf. Dafür brauch ich keine wissenschaftliche Untersuchung. Es gibt auch wieder Nistmöglichkeiten für Singvögel. Da ist natürlich so ein Agroforststreifen mit Pappel, Weide und Erle nicht so berauschend. Das ist klar. Aber mein Ziel war im ersten Schritt, dass wir wirklich saubere Energie für den Betrieb gewinnen. Und zusätzlich Pflanzenkohle für den Humusaufbau. Im nächsten Schritt würde ich viel mehr in Richtung Waldgartensysteme gehen. Das habe ich allerdings nicht mehr zu entscheiden. Im Juli habe ich den Hof an meine Tochter Johanna übergeben. Aber ich werde an dem Thema dranbleiben.
Die Europäische Union stellt seit 2009 Fördergelder für Agroforstsysteme zur Verfügung. Die Bundesregierung hat Anfang 2021 den gesetzlichen Rahmen für eine EU-Direktförderung geschaffen. Wissen Sie, ob in Bayern bereits eine entsprechende Förderrichtlinie vorliegt?
Das weiß ich nicht. Damit habe ich mich, ehrlich gesagt, nie auseinandergesetzt. Wir sind ja die ersten sechs Jahre sogar bestraft worden: Die Flächen, die wir mit Agroforststreifen bepflanzt haben, sind aus der Förderung herausgerechnet worden. Auch über die zweite Säule der EU-Agrarförderung wurde uns für die Agroforst-Flächen nichts bezahlt. Wir haben politisch Druck gemacht, auch im Ministerium. Das geht nicht, dass Herr Söder Bäume umarmt, aber mit dem Agroforst nichts voran geht.
Wer ist „wir“? Mit wem zusammen haben Sie politisch Druck gemacht?
Einmal über die Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern (LVÖ). Ich bin dort als stellvertretender Landesvorsitzender des Anbauverbands Bioland tätig. Im Präsidium bin ich stellvertretender Präsident. Von daher haben wir schon Möglichkeiten, auch in Zusammenarbeit mit der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Mit Dr. Wiesinger, dem Leiter des Instituts für Ökolandbau, haben wir über gute Kontakte ins Ministerium einiges gemeinsam geschafft.
Ist das bayerische Landwirtschaftsministerium heute aufgeschlossener?
Nein. Die Politiker und Beamten werden ihrer Verantwortung nicht gerecht. Tut mir leid, wenn ich das so sage. Da gibt es zwar ein paar, die engagiert sind. Aber viele wollen nichts verändern. Denn so eine neue Agroforst-Richtlinie macht viel Arbeit. Darum macht man’s nicht.
Und dann sagen sie immer: Die Bauern haben kein Interesse. Erst wenn die Bauern massiv Druck machen, setzen sie sich in Bewegung. Aber dass sie umgekehrt Rahmenbedingungen schaffen, damit man solche neuen Formen der Landwirtschaft tatsächlich umsetzen kann – das passiert nicht.
Es ist eben eine Struktur, die über 60 Jahre so gewachsen ist. Da gibt es wirklich gute Leute, aber leider auch massive Bremser. Wir hatten ja mit Helmut Brunner bis vor zwei Jahren einen Landwirtschaftsminister, der super war. Er hat den Brüdern, ich sag jetzt mal, Dampf gemacht. Der hat verstanden, dass Landwirtschaft mehr ist als Lebensmittel erzeugen. Seine Nachfolgerin Michaela Kaniber – mein Gott, die wird am Nasenring des Ministeriums gezogen. Ich sag‘s einfach ganz frech. Die hat keine eigenen Ideen und macht am Schluss, was das Ministerium ihr vorsagt.
Was müsste geschehen, damit Agroforst als klimarettende Landwirtschaft vorankommt?
Wir sind gerade dabei, eine Tagung zu diesem Thema zu organisieren. Erstens brauchen wir Rahmenbedingungen für das Heckenpflanzen, die so gut sind wie zum Beispiel in Sachsen. Wolfram Günter, der sächsische Landwirtschaftsminister, hat sie verändert. Bauern, die jetzt anfangen Hecken zu pflanzen, werden nicht mehr dafür bestraft, weil man irgendwann die Hecke nicht mehr wegmachen darf. Es ist wichtig, dass diese ganzen bürokratischen Hemmnisse und die Unsicherheit wegkommen. Die Bauern müssen merken: Es ist gesellschaftspolitisch gewollt, die Landschaft wieder zu verändern.
Der zweite Schritt ist Ausbildung für die Bauern, nach dem Vorbild der Bodenpraktiker-Ausbildung. Bauern, die Interesse haben, sollen sich in einer Jahresausbildung damit beschäftigen können und intensiv begleitet werden. Wir sind dabei, in einer Kooperation von Bioland mit Demeter und anderen Akteuren eine Agroforstberatung aufzubauen. Ihr Ziel ist in erster Linie, die Bauern für dieses Thema zu begeistern.
Als Drittes muss sich politisch etwas ändern. Dafür braucht es Vorbilder. Wir sind dabei Konzerne in die Mitverantwortung zu nehmen, die im großen Stil Flächen gekauft haben. Also BMW, die Münchner Rück oder auch Aldi. Wir sind gerade dabei, zu recherchieren, wer sich da noch aktiv beteiligt hat. Wir wollen die Brüder an einen Tisch holen. Die haben so viel Geld mit klimaschädlichen Dingen verdient. Dafür sollen sie jetzt bitteschön ihre Flächen nachhaltig bewirtschaften und Agroforstpflanzungen unterstützen. Wenn wir das schaffen und es großflächig machen, wie zum Beispiel in Brandenburg – dann könnten wir zeigen, dass sich das regionale Klima, wie damals in Russland, in einem überschaubaren Zeitraum wieder zum Positiven verändert. Genau da sind wir grad dran.
Was würden die Konzerne denn sonst mit dem Land machen? Einfach liegen lassen und warten, dass der Immobilienwert steigt?
Klar. Die merken natürlich: Die Zukunft liegt im System der Ernährungssicherung. Da hast du Macht.
Vielleicht nur ein Beispiel, um zu zeigen, was möglich ist: In der Coronakrise hat die Weltgemeinschaft gezeigt, dass sie handlungsfähig ist. Man glaubt’s ja nicht. Stellen Sie sich vor, die Weltgemeinschaft würde sich zu Folgendem entschließen: Zumindest ein Jahr leiten alle Länder, die Militär haben, ihre Rüstungsausgaben um und pflanzen damit Bäume. Ich meine das im Ernst. Was da innerhalb kurzer Zeit gewonnen wäre! Die Soldaten könnte man zum Bäume-Pflanzen mitnehmen.
Das wäre mehr als das „Schwerter zu Pflugscharen“, von dem die Bibel spricht. Es wäre ein “Schwerter zu Klima-Hecken”.
Die Erfahrungen aus Russland zeigen uns, wie schnell sich ein regionales Klima drehen kann. Aus meiner Sicht ist das die einzige Chance, den globalen Klimawandel aufzuhalten.
Natürlich müssen die fossilen Energieträger ersetzt werden, das ist kein Thema. Aber zwei Drittel des CO2, das seit Beginn der Industrialisierung zusätzlich in die Atmosphäre entlassen worden ist, entstand durch Regenwälder-Abholzung, durch Moore-Trockenlegen und durch Humus-Abbau. Damit wird klar: Wenn wir aufhören mit den fossilen Energieträgern, haben wir noch nichts erreicht.
„Nichts“ ist übertrieben. Natürlich müssen wir sofort aufhören mit dem ganzen Wahnsinn. Aber dann haben wir noch nichts verändert. Die Landwirtschaft muss sich verändern!
Daten des Biolandhofs von Josef und Irene Braun in Dürneck bei Freising
– 450 m hoch gelegen, lehmiger Sand bis anmooriger Lehm, 28 bis 59 Bodenpunkte, 800 mm Jahresniederschlag, 7,7°C Jahresdurchschnittstemperatur.
– 54 ha, davon 37 ha Acker, 17 ha Dauergrünland, insgesamt 5 ha beziehungsweise 7 km Agroforststreifen.
– Fruchtfolge: Zweijähriges Kleegras, Sommerhafer/Leindotter mit Untersaat, Winterweizen mit Einsaat für einjähriges Kräuterkleegras, Sommerung mit Untersaat, Winterroggen mit Kleegrasuntersaat. Bio-Saatguterzeugung.
– 22 Milchkühe, schwarzbunt, Zucht auf Lebensleistung, Ammenkuh im Tretmist-Laufstall, ganzjährig freier Zugang zur Weide, muttergebundene Kälberaufzucht; ein paar Schweine; 420 Zweinutzungshühner (320 Hennen und 100 Hähne) nutzen das Agroforstsystem und die Streuobstwiesen; 20 Bienenvölker.
– Direktvermarktung: Hofkäserei, Gastronomie und Catering, Hofladen und Laden in München-Gern.
– Fünf Arbeitskräfte.
Weiter Beiträge von Hanna Lauterbach:
Für die klimarettende Agrarwende: Agroforstwirtschaft endlich auch in Bayern fördern! Kommentar zur Agroforst-Politik der Bayerischen Staatsregierung
Glücksmomente und Zukunftsangst. Portrait der Initiatorin von Fridays for Future München, Antonia MesserschmittKompost schaufeln als mystischer Weg. Rezension von Nicolas Humberts Dokumentarfilm „Wild Plants“
[1] Noemi Stadler-Kaulich: Dynamischer Agroforst. Fruchtbarer Boden, gesunde Umwelt, reiche Ernte, München: oekom 2021,15-23
[2] P. J. Crutzen et al., N2O release from agro-biofuel production negates global warming reduction by replacing fossil fuels, Atmos. Chem. Phys. 8, 389 (2008). http://www.atmos-chem-phys.net/8/389/2008 Zusammenfassung in: https://www.pro-physik.de/nachrichten/studien-biosprit-heizt-klimawandel vom 08.09.21
[3] Vgl. Elmar Schulten: Großtechnische Anlage in Diemelstadt: Holzvergaser liefert Energie und Dünger. Strom und Wärme klimafreundlich aus Restholz produzieren, in: Hessische Niedersächsische Allgemeine vom 15. Mai 2021 https://www.hna.de/lokales/frankenberg/grosstechnische-anlage-in-diemelstadt-holzvergaser-liefert-energie-und-duenger-90576657.html 23 09 21
[4] Agroforstsysteme zur Energieholznutzung im Ökologischen Landbau. Endbericht zum Forschungsprojekt, Schriftenreihe der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft 7 (2019)
[5] Mitgeteilt von J. Braun nach der erwähnten unveröffentlichten Präsentation von Benjamin Seitz. Aufgrund der weit höheren Versiegelung der Erdoberfläche dürften heutzutage 17 Prozent der Ackerflächen nicht mehr genügen, um einen vergleichbare Wirkung auf die Niederschläge zu erzielen. Trotzdem halte ich das Experiment für ein sehr wertvolles Argument zugunsten naturbasierter Klimarettungsmaßnahmen.
[6] Christian Hildmann: „Neue Landschaften“ durch geschlossene Stoffkreisläufe. Welche Landschaften brauchen wir in Mitteleuropa im nächsten Jahrhundert? in: Raumforschung und Raumordnung 59 (2001), H. 2/3, 111-121.
[7] Stefan Schwarzer: Working with plants, soils and water to cool the climate and rehydrate Earth’s landscapes. UNEP Foresight Brief Nr. 25: Early Warnung, Emerging Issues and Futures, July 2021 http://mainwp.lebensraum-permakultur.de/wp-content/uploads/2021/08/UNEP-Foresight-Brief-Working-with-plants-soils-and-water-to-cool-the-climate-and-rehydrate-Earth%E2%80%99s-landscapes.pdf Inoffizielle deutsche Übersetzung: http://aufbauende-landwirtschaft.de/wp-content/uploads/2021/08/UNEP-Foresight-Brief-Mit-Vegetation-und-Boeden-die-kleinen-Wasserkreislaeufe-staerken-und-das-Klima-kuehlen.pdf. Nach Stefan Schwarzer stammen 40 Prozent der globalen Niederschläge, die auf Landoberflächen niedergehen, von diesen selbst und 60 bis 80 Prozent davon entstehen durch die Transpiration von Pflanzen (S. 1).
[8] Quirin Schiermeier: ‚Rain-making‘ bacteria found around the world, in: Nature, 28.02.2008, https://www.nature.com/articles/news.2008.632 Roland Knauer: Wie Mikroorganismen Schnee und Regen machen, in: Die Welt/ Wissenschaft vom 28.02.2008