Zukunft Handwerk – Beständigkeit statt Disruption

Business Model Innovation ist ein Trend-Thema, allerdings muss nicht jeder sein Geschäftsmodell neu denken, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Bestes Beispiel hierfür: die Keramik- und Porzellanmanufaktur Heigert & Möbs.

Gefühlt alles ändert sich heute innerhalb weniger Sekunden, Minuten, selten Tagen. Gerade die Digitalisierung trägt zu dieser Be- statt Entschleunigung maßgeblich bei. (Handwerks-) Unternehmen müssen sich verändern, um auch in Zukunft mit ihrem Geschäftsmodell erfolgreich zu sein – müssen sie?

Vielleicht ja doch nur bedingt! Dieser Überzeugung ist Cornelia Möbs, Mitbegründerin der Münchner Keramik- und Porzellanmanufaktur Heigert & Möbs. Für sie habe sich ihr Handwerk trotz der immer schnelllebigeren Welt kaum verändert, Generationen-Weitergabe ist für sie kein muss. Ist es also bei manchen Unternehmen oder gar ganzen Branchen nicht notwendig, die allzu bekannten Silos aufzubrechen, Master der Disruption zu sein und das alles selbstverständlich möglichst digitalisiert?

Im Interview mit Anna Gampenrieder schildert Cornelia Möbs, wie ihr Beruf aussieht und warum sie eine Keramikwerkstatt mit Anspruch in München betreibt.

Seit wann gibt es Ihren Laden und wie kamen Sie dazu, Keramik und Porzellan herzustellen?

Cornelia Möbs: Heigert & Möbs gibt es seit genau 30 Jahren. Am 14. November feiern wir 30-jähriges Jubiläum.

Zuerst haben meine Geschäftspartnerin und ich eine keramische Lehre gemacht und im Anschluss an der Fachschule für Keramikgestaltung in Höhr-Grenzhausen bei Koblenz drei Jahre lang Keramik studiert. In dieser Zeit haben wir uns sehr zu schätzen gelernt und gemerkt, dass wir eine ähnliche Vorstellung von Keramik haben. Also sind wir nach der Ausbildung zusammen nach Japan gegangen und haben drei Monate lang einen keramischen Workshop besucht. 

Dort wurden wir immer wieder gefragt, was wir danach machen. Ich wusste, was danach ansteht, denn ich hatte ein einjähriges Stipendium an einer Kunst-Uni in London und meine Kollegin wollte eine Mutterschutzvertretung am Nymphenburger Gymnasium übernehmen. Wir wussten also, dass wir erst einmal ein Jahr versorgt sind. In Japan haben wir allerdings immer davon geträumt, irgendwann eine Werkstatt aufzumachen. 

Also haben wir in meinen Semesterferien in ganz Deutschland nach Werkstätten gesucht, allerdings nur in Großstädten, weil wir in keine kleine Stadt wollten. Es war eher Zufall, dass wir in München eine Keramikwerkstatt übernehmen konnten. Die Miete war günstig, was das Allerwichtigste ist, wenn man beginnt, – die Fixkosten so gering wie möglich zu halten. Zum damaligen Zeitpunkt hätten wir nie gedacht, dass wir das 30 Jahre lang machen werden. Jetzt ist es so und wir sind glücklich.

Jedes Ihrer Stücke ist einzigartig. Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal beziehungsweise die Besonderheit gegenüber anderen Töpferarbeiten?

Unser Markenzeichen ist ein mandelbrauner Rand, der alle keramischen Stücke miteinander verbindet. Wir haben unser Geschirr „schlicht, schön, schlau“ genannt, weil wir eben genau das wollten und nicht für jedes Gericht etwas Separates. Wir haben zum Beispiel eine Suppen-Schale, die für Pasta, Risotto, Kekse und Salate verwendet werden kann. 

Uns ist wichtig, dass man mit einem Stück viel machen kann, denn: Wer hat schon viel Platz und Geld für Geschirr? Wir bieten schlichte Formen an und haben etwas geschaffen, was uns selbst auch nach Jahren noch gefällt. Anpassungen sind eher praktischer Natur, denn als wir Heigert & Möbs gestartet haben, hatte nicht jeder einen Geschirrspüler.

Gibt es eine Veränderung, die Sie in den letzten 30 Jahren an Ihrem Handwerk bemerkt haben?

Ehrlich gesagt: Nein. Die Töpferscheiben waren, als wir vor 30 Jahren angefangen haben, schon elektrisch. 60 Jahre früher war das noch ein knallharter Job. Jetzt haben wir den großen Vorteil, dass wir uns den Ton in großen Mischmaschinen mischen lassen können. Unser eigenes Tonrezept wird dann von einer Tonfirma gefertigt und wir bekommen den Ton in 10-Kilo-Säcken. Dieser muss nur noch durchgeschlagen werden und fertig ist er. 

Früher gab es das nicht, damals wurde er aus Pulver selbst gemischt – eben ein richtiger Knochenjob. Aber auch heute sitzt man noch den ganzen Tag an der Drehscheibe. Geben Töpfer den Beruf auf, liegt das meist an Rückenbeschwerden oder Sehnenscheidenentzündungen. Müsste so jemand, wie früher, auch noch Ton herstellen, wäre das gar nicht möglich.

Ihre Produkte sind zu 80 Prozent Auftragsarbeiten. Sind das dann alles komplett individuelle Anfertigungen oder nur einzelne Elemente davon, wie Farbe und Schrift?

Wir haben acht Farben und viele Formen, die miteinander kombinierbar sind. Daraus kann sich jeder etwas Individuelles zusammenstellen. Es passiert selten, dass das gleiche Geschirr mehrmals verkauft wird. Jedes hat etwas Eigenes. Wenn jemand einen Namen draufhaben will, ist das kein Problem. Was wir aber nicht anbieten, sind individuelle Farben: Eine Glasurentwicklung bedeutet sehr viel Arbeit; teilweise müssen bis zu 200 Proben angefertigt werden, bis eine vernünftige Farbe entsteht. Deshalb können wir das nicht machen. Wir haben unsere acht Glasuren, aus denen unsere Kunden wählen können. Wenn ihnen die Glasuren nicht gefallen, ist das ein Problem. Gefällt ihnen hingegen etwas an der Form nicht, können wir das ändern. Das passiert aber nicht häufig.

Wir machen Sonderaufträge, wenn wir selbst dahinterstehen. Wir haben beispielweise gerade eine neue Butterhaube hergestellt, für die runde Président-Butter. Dafür gibt es keine Butterdose auf dem Markt, also haben wir sie für eine Kundin gemacht. Normalerweise bieten wir nur eine für normale Butter an, neuerdings eben auch für runde Butter. Manchmal sind es aber auch so banale Sachen wie ein Behältnis für streichzarte Butter. 

Wenn solche Anfragen kommen, reagieren wir darauf, weil wir feststellen, dass es eine Nachfrage gibt. Merken wir, dass man das wirklich benötigen kann, machen wir so etwas gerne. Ungern produzieren wir Sachen, die man nicht gebrauchen kann – das überlassen wir anderen. Es gibt so viele Töpfer, die Dekorationssachen so toll umsetzen, dass wir Kunden mit solchen Wünschen dann zu diesen schicken. So hilft man sich auch gegenseitig – Ich muss wirklich nicht alles machen. Wir sind voll auf Gebrauchskeramik spezialisiert.

Wer sind Ihre Kunden?

Wir haben sehr viele Privatkunden und ein paar Restaurants, denen wir Geschirr liefern. Der Großteil unserer Kunden besteht aber aus Privatkunden. Mit diesen machen wir auch ein besseres Geschäft. Beliefert man Läden, wollen diese etwas an dem Geschirr verdienen und dieses meist zum gleichen Preis wie in der Werkstatt anbieten. Dafür müssten wir ihnen das Geschirr zum halben Preis geben und das können wir nicht. 

Restaurants hingegen bestellen wahnsinnig hohe Stückzahlen. Diese brauchen schnell 50 bis 100 Teller. Das ist für uns auch Werbung. Deshalb gehen wir mit dem Preis hier ein bisschen runter. Aber auch dieses Entgegenkommen muss sich im Rahmen halten.

80 Prozent sind Privatleute, 20 Prozent Gastronomie. Davon kaufen 80 Prozent direkt im Laden und von diesen kaufen wiederum 90 Prozent die Sachen genauso wie wir sie anbieten. Ganz wenige haben Extrawünsche, wie einen breiteren Fuß, zwei Zentimeter höher oder Ähnliches. Das ist für uns auch eine Bestätigung, weil wir uns etwas dabei gedacht haben und die Leute das so schön finden. 

Sie haben gesagt, dass viele Kunden direkt in den Laden kommen. Wie machen Sie auf sich aufmerksam?

Wir haben einen riesigen Stammkundenkreis. Erst heute war eine Frau zu Besuch, die etwas abgeholt hat und sich dabei spontan entschied, ihrer Schwester eine Vase zu schenken. Im selben Zug hat sie erwähnt, dass sie auch neues Geschirr braucht. Auf diese Weise wird das oft weitergetragen. 

Von vielen unserer Kunden kauft auch die nächste Generation bei uns ein – das ist total nett. Ansonsten haben wir eine Homepage und ein Instagram-Profil, bei Zweiterem sind wir aber noch nicht sehr aktiv. Wir machen dort recht wenig und sollten uns ein bisschen mehr darum kümmern. Des Weiteren haben wir eine Vitrine am Isartor, beim U-Bahn-Abgang. Diese ist relativ groß und wir können unsere Keramik schön präsentieren. Dann haben wir noch eine Verkaufsstelle: den Bayerischen Kunstgewerbeverein, in der Pacellistraße. Hier sind viele bayerische Kunsthandwerker vertreten. Zudem verkaufen wir auf dem Diessener Töpfermarkt, der jährlich vier Tage lang stattfindet. Das sind die Hauptvertriebswege, über die wir auf uns aufmerksam machen. 

Nicht zu unterschätzen ist aber die Verbreitung über Mundpropaganda. Um das zu fördern, veranstalten wir regelmäßig Ausstellungen. Durch die Pandemie ist das im Moment ein bisschen weniger als sonst. Ein paar Veranstaltungen konnten wir jetzt aber schon wieder hier im Hinterhof unserer Werkstatt abhalten. Dazu bringen die Gäste ihre Freunde mit, die oft ein Geschenk kaufen. Der Beschenkte kommt später oftmals und sagt: „Haben sie zu dem Salzstreuer auch ein Geschirr?“ So läuft das und wir hoffen, dass es so weitergeht.

Neben dem Tagesgeschäft sind unsere Kurse sehr wichtig für uns. Wir leben nicht zu 100 Prozent von der Keramik, sondern zu 60 Prozent und zu 40 Prozent von den Kursen. Auch die Kursteilnehmer sind ein zusätzlicher Spreader in Sachen Mundpropaganda. Denn die kaufen in der Regel ein oder wünschen sich etwas von Freunden und Familie, die dann wiederum auch herkommen. Oft bekommen wir auch eine Hochzeits- oder Weihnachtsliste.

Im Schaufenster von Heigert & Möbs werden Teller, Schüsseln und anderes Geschirr präsentiert.
Die Vitrine am Isartor von Heigert & Möbs.

Wie sieht es mit dem Onlinegeschäft aus? Kommen darüber relativ viele oder eher weniger Bestellungen?

Das kann man schwer sagen. Ich denke, dass sehr viele Leute über das Onlinegeschäft überhaupt zu uns finden. Sie googeln nach Keramik und bekommen auf unserer Website dann erst einmal einen Eindruck davon, was wir anbieten. Gefällt es ihnen, kommen sie in die Werkstatt. 

Die Website dient aber super zur Orientierung. Sie ist für Leute, die das Geschirr schon kennen praktisch, weil sie dort die Möglichkeit haben, zu schauen, was es noch gibt. Auch haben sie hier die Möglichkeit etwas nachzubestellen, wenn sie es schon kennen. Es ist selten, dass Neukunden direkt auf der Website bestellen. Das kann ich total nachvollziehen, denn Keramik muss man in der Hand haben, feststellen, wie schwer sie ist, die Glasur aussieht oder ob es überhaupt gefällt.

An sich ist jedes Stück ja auch individuell. Selbst bei Massenproduktionen, wie von Portofino Ceramica oder Motel a Miio, will man es sich also eigentlich in Echt ansehen, denn auch hier sind alle unterschiedlich, obwohl das Geschirr bei uns nicht so stark changiert, weil wir nicht solche Effekt-Glasuren haben. Bei uns ist das Allerwichtigste die Form. Wir wollen eine gute Form und die Glasuren sollen die Form unterstützen und nicht davon ablenken. Das Handwerk steht also für sich und nicht der Effekt.

Cornelia Möbs dreht an der Töpfer-Drehscheibe einen Teller.
Cornelia Möbs dreht leidenschaftlich gern, am liebsten aber Vasen.

Wie sieht für Sie die Zukunft beziehungsweise Ihr Weg in den nächsten Jahren aus?

Ich sehe unseren Weg genauso wie er jetzt ist – weil es einfach gut so ist. Es ist wirklich so! Wir haben einen super Beruf, der uns erfüllt. Warum soll ich das jetzt ändern? Ich bin total glücklich. 

Das Einzige, was wir verändern, ist, dass wir uns immer etwas Neues vornehmen, damit es interessant bleibt. Das kann eine neue Form, Glasur oder irgendetwas Anderes sein. Das braucht man manchmal einfach als Herausforderung. Wir nehmen auch gerne an Wettbewerben teil, beispielsweise keramischen Kunsthandwerkswettbewerben. 

Im Moment hat die Keramik einen totalen Hype. Ich glaube, die Leute freuen sich einfach über selbstgemachte Sachen, die noch ein Leben haben. Man merkt den Unterschied. Ich bin der Überzeugung das hat auch etwas mit der ganzen Digitalisierung zu tun – dass diese ein Stück weit rückläufig ist und man sich gerne wieder mit solchen haptischen Dingen auseinandersetzt. Das merken wir definitiv. Uns ist bewusst, dass es auch wieder in eine Gegenbewegung übergehen kann. Der Zustand hält aber nun schon lange an.

“Ich finde, dass sich jeder so entwickeln soll wie er möchte.”

Cornelia Möbs, Heigert & Möbs

Sehen Sie dann Ihr Handwerk als etwas, dass Sie erfüllt, Ihnen Spaß macht und Ihre Leidenschaft ist, was aber nicht unbedingt Ihre Kinder oder die Kinder Ihrer Partnerin weiterführen müssen? Oder würden Sie sich das wünschen?

Also ehrlich gesagt ist mir das wirklich egal. Ich finde, dass sich jeder so entwickeln soll wie er möchte. Keines unserer Kinder wird die Werkstatt weiterführen, weil sie ganz andere Neigungen haben. Ich finde das vollkommen in Ordnung. Was uns aber wichtig ist, dass sie schätzen, was wir machen – und das tun sie alle. Sie helfen auch mit, wenn wir sie brauchen – das ist schön. Was wir uns aber schon wünschen würden: einen Nachfolger, wenn wir aufhören. Das kann dann aber auch einfach ein anderer Töpfer sein, der eine eingerichtete Töpferwerkstatt übernimmt.

Das finde ich eine interessante Sichtweise, denn oft ist es ja so dass, wenn die Eltern einen Betrieb haben, die nächste Generation diesen weiterführen soll.

Ja, die Kinder finden das schon toll, besuchen uns oft, haben unsere Sachen zu Hause und können sich auch nicht vorstellen, von irgendetwas anderem zu essen. Aber sie machen eben andere Dinge, die prima sind. In diesem Sinne wird diese Werkstatt wahrscheinlich an irgendjemand andern übergeben, der einfach Töpfer sein will. Der macht dann entweder unsere Sachen weiter, weil sie eingeführt sind oder eben nicht.

Auch wenn es auf zahlreichen (Digitalisierungs-)Konferenzen gepredigt wird: Bei manchen Unternehmen oder gar Branchen ist es also vielleicht doch nicht oder nur bedingt notwendig, Silos aufzubrechen, das Geschäftsmodell zu disruptieren und die Digitalisierung voranzutreiben. Was aber trotzdem unabdingbar ist: sich zu verändern, mit der Zeit zu gehen, das Konzept stets zu überprüfen und zukunftsgerichtet Entscheidungen zu fällen.

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Geschirr von Heigert & Möbs

Bilder: Anna Gampenrieder; Heigert & Möbs-Vitrinen-Bild: Cornelia Möbs